Literatur & Wort





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Rezensionen "Abseits jener Sumpfallee"

aktualisiert: 26.07.2008


Sonja Ruf - Autorin:

99 Gedichte aus den vergangenen Jahren mit Illustrationen von Michael Blümel, Sprachspielereien, Moritaten und Lieder - charmant und spöttisch, zerstreut und geheimnisvoll, gewitzt und hintergründig - teils einfach, teils raffiniert.
"Doch immer warmherzig und ehrlich mit sich selbst."

Henner Kotte - Autor:

"Gemeinhin sind Gedichte etwas für den Schrank. Diese haben vielleicht nicht Goeth’sche oder Rilk’sche Tiefe, aber sie zeigen Alltag ungewohnt und heiter."

Ralf Julke - Leipziger Internet- Zeitung (LIZZY):

"Es sitzt tief, ganz tief im Herzen der Mitteleuropäer mit ihrem innigen Glauben an Dichter und Denker. 150 Jahre Gymnasial-Doktorei zeigen Wirkung. Die Dichter leben und reimen und schwärmen. Ganz so, als bände man Dichteralben heuer noch in Schweinsleder mit Golddruck. Auch wenn sie eher im Paperback erscheinen. Wie Klaus Krawczyks Sumpfblütenlese.

Pardon. "Abseits der Sumpfallee. Eine lyrische Blütenlese". Schon der Untertitel verrät: der 35jährige hat nicht nur Christian Morgenstern gelesen ("Ka-emm zwo-drei, ka-emm zwo-drei ..."). Er hat auch alle deutschdichtenden Zeitgenossen des Christian Morgenstern gelesen. Und das sind eine Menge, die Hälfte mit einem Dr. vorm Namen, Staatsbeamte, Professoren, Lehrer, Pfarrer, Steuereintreiber. Es gehörte im spätkaiserlichen Deutschland zum guten Ton, selbstreimend in Dichterhallen, Festschriften, Sonntagsbeilagen und Schatzkästlein vertreten zu sein. Es tümmelte sich abseits der ritterlichen Saalschlachten und Träume von einem eigenen preußisch-geflaggten Kolonialreich. Und wer etwas hielt auf seine Bildung, der sandte ein. Auf Teufel komm raus und Reim komm rein.

Und leider hat die glorreiche Revolution von 1918 vergessen, diese Selbstbelobung des biederen deutschen Mannes, der 1914 tapfere Reden fürs Vaterland und den Krieg hielt, auszusortieren und einzustampfen. Teile des gefährlichen Reimwerks überlebten nicht nur in Schulbüchern und Poesiealben. Sie haben auch im allgegenwärtigen Unterbewussten der Bürger überlebt, die ihren Bildungsstand immer gern eingefroren haben im seligen Sieger-Jahr 1871. Und danach auch die Heiligen ihres Bildungshimmels sortierten. Die Geibel, Uhland, Möricke und Rückert. Mal darf auch Eichendörff auftauchen oder Lenau. Hauptsache, es wird gereimt, geträumt, genebelt und geschwärmt.

In seinen Sesseln war das kleinere Bürgertum schon immer romantisch bis in die Hauslatschen. Im Unterschied zum großen Bürgertum hat es zumindest immer gern gelesen und Bildung nicht unbedingt gehasst. Man war halt nur ein wenig behutsam mit seinem Bildungskanon. Hätte ja sein können, Frauenzimmer bekämen das Gedruckte zu lesen. Nicht auszudenken, das schwächere Geschlecht!

Und so hat das Ergossene überlebt, bis heute – in Kalendern und Trostbüchern, in den "100 schönsten Gedichten von ..." und in den Straßennamen deutscher Städte und Gemeinden. Und in der Bibliothek von Klaus Krawczyk, der seinen tristen technischen Alltag des abends, nachs und feiertags mit ersprießlichen Reimen versüßt. Die er sich nicht mehr ausdenken muss. Sie sind alle schon da. Hübsch nachzulesen in den Reimlexika von Willy Steputat oder Siegfried Rabe. Oder im großen Reimlexikon von Günter Pössiger: "Wer dichten will, muß Reime finden. Anleitung für Hobby- und Gelegenheitsdichter".

Oder im zweibändigen Allgemeinen deutschen Reimlexikon von Peregrinus Syntax alias Ferdinand Hempel von 1826, neu herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger. "Das vollständigste seiner Art", wie die Fachleute bestätigen, mit über 300.000 Einträgen. Sozusagen das Standardwerk für alle, die über Mörike hinausreimen wollen. Was viele gern wollen. Auch der Nachdruck ist längst vergriffen. Und man sieht sie beinah vor sich, nächtlicherweise bei einer 5-Watt-Lampe mit Tüllhaube, wie sie blättern und sich die Finger lecken: Was reimt sich nur auf "Herz zerbricht"? oder "wunderschön"? oder Einsamkeit?

Herzensqual ist auch so ein Wort, das in den dicken Büchern ein Eigenleben entwickelt hat, so wie Fleischeslust oder Herzweh oder – das Lieblingswort aller Gynäkologen und Sexualtherapeuten: Liebesakt. – Wer genau hinschaut in Volksdichters Wörtergärtlein, der sieht die Verpackungen noch in der Erde stecken, auf denen steht: poetus flagellatus, drei Mal täglich gießen, schattiges Plätzchen bevorzugt, braucht viel Liebe und Bekümmernis. – Dann klappt's. Dann macht das Hobby Spaß. Und der gut belesene Dichter darf die alten Traditionen auch mal auf die Schippe nehmen, mit spitzbübischer Freude das Herzweh durch die Zitruspresse leiern.

Ergebnis: Stilblüten der bühnenreifen Art. Das Publikum muss sich kringeln, wenn Klaus Krawczyk die Bühne betritt und loslegt, dass die Reime krachen. Das hat Kempnersche Dimensionen. Und da und dort schaut auch der Schalk aus den Versen, nimmt sich der Ungetröstete fröhlich hopp, weiß Besinnliches zu sagen über Frauen und Männer, Regentropfen und Grillenbläser. Manchmal sieht man ihn auch beim Würgen und Prügeln der Verse, wenn sie sich dem Reim nicht beugen wollen. Oder der flüchtige Reim sich schutzsuchend versteckt hat ihm Satz – da werden Substantive und Verben verbeult, bis sie passen.

Da spürt man die harte Dichterschule, die so gut passt zum Liebeserleben der Männer in diesem Land, die in Liebesdingen gern wieder kleine Kinder werden, gemütlich und anhimmelnd. So zeigen sie zumindest zwischen Nacht und sacht ihre Gefühle. Auch wenn genau an dieser Stelle die Sterne mal wieder funkeln. Kann passieren. Es ist einfach zu aufdringlich, das Repertoire der hiesigen Liebeskulisse: Mond, Sterne, Blümelein und holde Wangen, Sonnenschein und geknüpfte Bänder. Allgegenwärtig in den Volksliedern heuriger Heimatsender. Den Hustensaft nicht zu vergessen.

Auch der kommt bei Krawczyk vor. Ein wenig hat er bei Morgenstern gelernt, wie man gegen Alpträume kämpft. Und deutsche Reime sind ein Alptraum für jeden, der zufällig nüchtern in eine Dichterlesung strauchelt. Kann bei Krawczyk nicht passieren: Wer ihn kennen lernen will, kann sich den 25. Juli merken. Da feiert er mit seinen 99 auserlesenen Gedichten Buchpremiere im FHL-Club, der nicht ganz zufällig in der Eichendorffstraße liegt. Auch Eichendorff hat so was Ansteckendes. "Es war, als hätt' der Himmel/Die Erde still geküsst,/Dass sie im Blütenschimmer/Von ihm nun träumen müsst'." Wohlgemerkt. Das ist Eichendorff. Krawczyk darf man am 25. erleben. Für Kenner der Materie eine echte Wiederauferstehung."

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